Export Talk – TIPP

Am Donnerstag, dem 11. Juni 2015, diskutierte unter reger Beteiligung des Publikums ein hochkarätig besetztes Podium mögliche Auswirkungen, Chancen und Risiken eines umfassenden Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika. Unter der fachkundigen und launigen Moderation von Kleine Zeitung Chefredaktionsmitglied Ernst Sittinger lieferten sich die politische Geschäftsführerin von Global 2000 Leonore Gewessler und der Bereichsleiter für internationale Beziehungen der Industriellenvereinigung Österreich Michael Löwy einen über weite Strecken konstruktiven Schlagabtausch über das Transatlantische Freihandels- und Investitionsschutzabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Agreement).

Zu Beginn der Diskussion stand die brandaktuelle Frage, aus welchem Grund das Europäische Parlament in Straßburg tags zuvor die Abstimmung über eine Resolution zu TTIP verschoben hatte. Naturgemäß taten sich schon bei dieser Einstiegsfrage sehr unterschiedliche Interpretationen auf: Während Leonore Gewessler davon überzeugt war, dass der europaweite Widerstand gegen TTIP beginnt, Wirkung zu zeigen, wollte Michael Löwy keine tiefergehende Symbolik in der Verschiebung erkennen.

Von der ersten Minute der Diskussion an brachte sich auch das interessierte Publikum in die Diskussion ein: Einerseits ermöglichte ein Online Tool, dem Moderator Fragen an das Publikum zu stellen, die mittels Smartphone live beantwortet wurden und deren Ergebnisse ohne Zeitverzögerung auf einem Bildschirm dargestellt werden konnten. Andererseits beteiligte sich das Publikum auch auf klassischem Wege durch Ad-hoc-Meldungen an der Debatte. Ernst Sittinger spannte im Laufe der Diskussion einen weiten Bogen von Vor- und Nachteilen eines Abkommens zwischen der EU und den USA zu Gründen, die für und gegen TTIP sprechen, sprach aber auch Zölle und vor allem Regulierungen im Detail an. Speziell bei den Regulierungen wurden die sehr unterschiedlichen Ansichten auf dem Podium deutlich. Während Michael Löwy keine latente Gefahr sah, dass die europäischen Standards herabgesetzt werden, da von Barack Obama über die EU-Kommission bis hin zur österreichischen Bundesregierung alle wichtigen Player betonen, dass es zu keiner Verringerung von Standards kommen soll, war Leonore Gewessler nicht davon überzeugt, da sie eine Festschreibung der derzeitigen Standards (Lock-in) befürchtet, die es nahezu unmöglich machen würde, zukünftig höhere Standards zu beschließen.

Ebenso heiß diskutiert wurden die geplanten Schiedsgerichte (ISDS), die eine Streitbeilegung außerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit bringen sollen und von vielen als Schattengerichte kritisiert werden. Für Leonore Gewessler sind diese Gerichte in der Form, wie sie derzeit verhandelt werden, keinesfalls eine Option. Es müssten ihrer Ansicht nach neben ordentlichen Richtern und Instanzenzügen auch die Staaten die Möglichkeit bekommen, Unternehmen beispielsweise wegen Verletzungen von Umweltschutzstandards zu klagen. Michael Löwy hält eine Schiedsgerichtsbarkeit vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass sich das US-amerikanische Rechtssystem doch gravierend vom mitteleuropäischen Rechtsverständnis unterscheidet, für wünschenswert. Auf die Frage hin, ob ihm ein Abkommen ohne ISDS lieber wäre als kein Abkommen, räumte er aber ein, im Zweifelsfall eher auf die Schiedsgerichte zu verzichten.

Während der gesamten Dauer der fast zweistündigen Diskussion war auch das Publikum ausgiebig am Wort und warf gleich zu Beginn die Feststellung ein, dass eine gewisse Unausgewogenheit in der Diskussion hin zu den Gegenargumenten herrsche. Ernst Sittinger nahm sich das zu Herzen und konnte zum Schluss auf eine sehr ausgewogene Diskussion zurückblicken. Die weiteren Publikumsfragen bezogen sich auf das Unterlaufen von rechtsstaatlichen Systemen oder die großen Unterschiede zwischen den USA und der EU im Landwirtschafts-, aber auch im Steuer- und Sozialversicherungsbereich.

Alles in allem war es ein gelungener Abend mit vielen Erkenntnissen und Einsichten zu dem spannenden und wichtigen Thema TTIP, welches uns sicher noch einige Zeit beschäftigen wird.